JUBILÄUM Das Orchester am Singrün wird im Regensburger Audimax vomPublikum enthusiastisch gefeiert.
VON GERHARD DIETEL, MZ
REGENSBURG. So wird einOrchester gefeiert: Eben ist eine letzte orgiastische D-Dur-Klangwoge vom Podium in den Saal gebrandet, da schallt tosender Beifall zurück. Spontan erheben sich die Konzertbesucher von ihren Plätzen, Bravo- und Jubelrufe ertönen, zustimmende Pfiffe mischen sich ein. Das erstaunlich gut gefüllte Audimax kocht geradezu. Die Regensburger Musikliebhaber feiern ihr Singrün-Orchester frenetisch, und wenn Dirigent Lutz Landwehr von Pragenau den Applaus auf einzelne Mitglieder des Klangkörpers lenkt, wächst er so stürmisch an, als träte im Bayreuther Festspielhaus ein Hauptdarsteller vor den Vorhang.
So feiert ein Orchester sein 25-jähriges Bestehen: es erinnert sich an die Anfangszeiten, als man 1986 beim ersten Konzert mit Schuberts „Unvollendeter“ vor die Öffentlichkeit trat, und setzt dieses Werk neuerlich aufs Programm. Wie es damals wohl geklungen hat, mit jener Gründungsformation, von der einige Mitglieder immer noch dabei sind, während bereits die nächste Generation am Nachbarpult mitwirkt? Hier und heute lässt der Dirigent seine Musiker den Kopfsatz episch breit anlegen, ohne auf dramatische Effekte zu verzichten. Fast extraterritorial steht das Anfangsthema der Celli und Kontrabässe als Motto, bevor die Musik in Gang kommt, und bewusst werden die Nahtstellen des Verlaufs herausgestellt, wo ein einzelner, lang gehaltener Ton die Brücke von einem Klangkomplex zum nächsten bildet. Schubert als Prä-Bruckner? So kann man ihn durchaus sehen.
So feiert ein ehrgeiziges Orchester sich: es greift wieder einmal nach den Sternen am Musik-Himmel und wählt – in traditionell basisdemokratischem Verfahren – das Repertoire nach seinem Wollen, in der Hoffnung, dass dem das Können folgen wird. Mit einer Aufführung von Gustav Mahlers erster Sinfonie, die nicht nur eine immense Besetzung erfordert, sondern auch in den Einzelstimmen wie im Zusammenspiel Äußerstes fordert, legt sich das Orchester die Messlatte, wie so oft, sehr hoch. Aber nicht zu hoch: Der Effekt, dass mit den Anforderungen die Kräfte wachsen, funktioniert auch dieses Mal. Es ist der Enthusiasmus aller Beteiligten, der über Klippen hinwegträgt und kleine Unschärfen der Interpretation vergessen macht.
Es ist ein Glück, dass mit Lutz Landwehr von Pragenau ein Dirigent am Pult steht, der absolute Souveränität ausstrahlt und nicht nur eine klare Vorstellung von der Realisation der Partitur hat, sondern dieser auch tönende Gestalt verleiht: in Mahlers räumlich weit gespannter Klangarchitektur (samt Fernwirkungen) sowie in der Tempo-Organisation mit ihren bisweilen fast taktweisen Stauungen oder Beschleunigungen. Durch musikalische Himmelshöhen und Höllentiefen führt der Dirigent die eingeschworene Gemeinschaft, lässt sie Naturlaute und Vogelrufe formen, bodenständige Ländler- und fahle Totentanzklänge, träumerisches G-Dur-Glück und wilden Schmerzensaufschrei. Und wenn dann nach allen Anfechtungen, mit denen der Finalsatz begonnen hat, der letzte Durchbruch gelungen ist und Mahlers Sinfonik ihr triumphales Ende erreicht hat: siehe oben.
Abdruck aus der MZ vom 11.05.2011