Regensburg. Wenn Botaniker vom „Singrün“ sprechen, so denken sie an ein kleines Pflänzchen mit hellblauen Blüten. Wenn aber in Regensburg vom „Singrün“ die Rede ist – dann dreht sich das Gespräch ganz um Musik. Das Orchester am Singrün ist eine kulturelle Institution in und um Regensburg. 1986 wurde das Laien-Ensemble hier gegründet und nach seinem Probenort „Am Singrün“ benannt. Seither widmet es sich der Sinfonik.
Am Sonntag präsentierte die Klanggemeinschaft nun ein neues Programm im Audimax der Uni. Zwei romantische Schlager prägten die Dramaturgie des Abends, aber auch ein Solokonzert, das in die Welt der Botanik führte. Den Auftakt bildet die Ballett-Suite „Schwanensee“ von Pjotr Tschaikowski, ein Märchenstück mit Kultstatus, das von Schwänen, Prinzen und dunklem Zauber handelt.
In der konzertanten Orchester-Suite entfallen zwar Bühnenkitsch, Kostüme und Tutus. Doch auch die reine Musik verfügt über Charme. Der tänzerische Charakter kommt dem Temperament des Dirigenten, Lutz Landwehr von Pragenau, entgegen. Mit schwungvollem Dirigat führt er durch die Ohrwürmer des Balletts.
Von Satz zu Satz mehr ÜberzeugungskraftWährend der Anfang noch zögerlich wirkt, gewinnt das Orchester von Satz zu Satz an Überzeugungskraft. Im Walzer bettet sich der Schmelz der Streicher auf die feine Begleitung der Hörner. Im Tanz der kleinen Schwäne watscheln Fagott und Oboe im niedlichen Gleichschritt. Im Finale entfaltet der romantische Kitsch dann seine volle Blüte. Das melancholische Hauptthema löst sich, mit Blechbläserwucht, in heroischen Wohlklang auf.
Ein solistisches Intermezzo sorgt nun für eine Atempause. Der Botaniker Carl von Linné beobachtete im 18. Jahrhundert, wie verschiedene Blumen im Verlauf eines Tages aufblühen. Eine Entdeckung, die den Komponisten Jean Françaix zu einem Oboen-Konzert mit dem Titel „L’horloge de flore“ („Die Blumenuhr“) inspirierte.
Schnörkelloser Klang, glasklare LinienSolistin Anne Dufresne, dem Regensburger Publikum vor allem als Oboistin des Stadt-Theaters bekannt, wird hier von einer schmalen, feinen Besetzung begleitet und behauptet sich mit Leichtigkeit als führende Stimme. Das gelingt ihr mit schnörkellosem Klang und glasklaren Linien. Die Sätze der „Blumenuhr“, kleine Charakterstudien mit gewitzten Rhythmen und Harmonien, fließen ineinander. Für Glanzpunkte sorgen die Holzbläser des Orchesters. Sie ergänzen die Solistin mutig und souverän.
Den satten Höhepunkt des Abends bildet Antonín Dvoráks Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“. Am Vorabend des 20. Jahrhunderts wagte sich der Komponist über den großen Teich nach Amerika. Seine Erlebnisse dieser Zeit fließen in vier Sätze, die vor Charakter strotzen. Ein ambitioniertes Unterfangen, einem solchen Meisterwerk gerecht zu werden. Wer dem Orchester an diesem Abend aufmerksam folgt, bemerkt, wie viel an Arbeit, Schweiß und Konzentration in dieses Werk geflossen ist.
Das Orchester steuert solide weiterDas wird in solistischen Passagen ebenso deutlich wie in heiklen Tutti-Partien. Und wenn dem Maestro – in seinem tänzerischen Elan – die Brille verrutscht oder kurz das Ruder entgleitet, steuert das Orchester dennoch solide weiter – selbst im dritten Satz, wenn Rhythmus und Puls etwas zu verschwimmen drohen. In solchen Situationen findet das Orchester rasch wieder zueinander.
Für Stabilität sorgt da ein starkes Schlagwerk, dem der Dirigent freie Fahrt gewährt. So bäumt sich das Orchester im letzten Satz auch zu einem furiosen Finale auf. Hier blüht das sinfonische Pflänzchen „Singrün“ nochmals in voller Farbpracht.
MZ, Meldung vom 26.06.2017